Aus dem Buch " Lob des Waidwerks mit dem Hund"
Autor Hermann Huttel, Safari Verlag.

      Peter


  

 

 


Wer in die Lage kommt, dass sein Hund erschossen wird, ist verzweifelt und traurig.

Es ist jedoch sehr unterschiedlich, wie der Schütze reagiert.

Auch hier hat er den Besitzer völlig im Ungewissen gelassen!

Es ist trotzdem ein Beispiel dafür, dass außer einer tiefen Traurigkeit kein menschliches Versagen vorliegt.

Ich kann nicht nach einem Unfall zur Tagesordnung übergehen,

wie in einem Fall abends am Schüsseltreiben ohne Gewissensbisse dabei sitzen,

oder alles auf die Versicherung abzuschieben,

Hier ist der Mensch gefordert!
 

 

 

 

 

Und dann, am 15. Dezember 1952, geschah es. Ich hatte mich mit Peter zu einer Treibjagd im alten Heimatrevier aufgemacht, Es war noch früh am Tage, als sich die Schützen und die Treiber an der Treffstatt zusammenfanden. Reifübersponnen bot der Wald ein schier märchenhaftes Bild, und drüben über dem Dilltal ragte die Burgruine Greifenstein in einen rostroten Himmel. Das erste Treiben wurde genommen, dann auch das zweite. Etliche Hasen ließen ihr Leben, desgleichen ein Fuchs und auch zwei Sauen. Beim dritten Treiben hatte ich meinen Platz in einem alten Buchenbestand, vor dem sich ein riesiger Kahlschlag breitete. Der Kahlschlag war mit jungen, hüfthohen Fichten besteckt, mit Ginster, Brombergerank und Stockausschlag. Es war so das richtige Domizil für das Wild, das denn auch gern seinen Einstand hier nahm. Ich saß mit dem Rücken gegen eine moosige Buche gelehnt auf meinem Klappstock, und Peter saß angeleint neben mir. Der Kahlschlag war umstellt, und das Treiben wurde angeblasen. Die Treiber rückten vor, die Hunde hetzten und erste Schüsse fielen.

In Peter erwachte die Passion. Mit schräg geneigtem Kopf lauschte er in das Treiben hinein, äugte mich winselnd an und bettelte förmlich: »Ach, laß mich doch los! Laß mich los! Laß mich jagen!« Ich tat ihm den Gefallen, nicht gern zwar; aber ich tat es. Ach, hätte ich's nicht getan!

Peter verschwand wie ein Husch in dem reifigen Strauchwuchs, und es währte nicht lange, da hörte ich sein unverkennbar helles «Jiff-jjff!», und ich hörte die Rufe der Treiber, den Hetzlaut der anderen Hunde, hörte Schüsse fallen, bald da, bald dort -- das Treiben war in vollem Gange! Ich hatte Nackenwind, und so war es nicht weiter verwunderlich, daß sich bei mir nichts tat. Bis Peter dann plötzlich dicht vor mir erschien, und jetzt, da er stockte und mich so treuherzig anäugte, befiel mich auf einmal - ich weiß nicht, warum - eine unbestimmte Angst um ihn. Ich rief: «Peter! Peter!

Aber da warf er sich herum und vertauchte wieder in dem reifigen Gerank und Gedorn, das so märchenhaft in der Sonne schimmerte und mein Peterle für immer meinem Blick entzog.

«,jiff-jiff i» - Klang seine helle Stimme im Treiben wieder auf. Quer durchs Gehölz ging seine Hatz.

EinTreiber rief, Hase nach vorn . Dann fiel ein Schuß und ein zweiter gleich hinterher.

Ich ahnte das Unheil nicht, das dieser zweite Schuß bewirkte.

 

 

  Da und dort noch ein paar letzte Schüsse - dann wurde das Treiben abgeblasen. Ich blieb noch eine Weile auf meinem Klappstock sitzen und wartete auf Peter. Es ist ja einem Hund so angewölft, daß er immer dorthin zurückkehrt, wo er seinen Herrn verließ. Ich konnte mich in diesem Betreff auf Peter vollkommen verlassen.

Diesmal aber blieb Peter aus. Ich pfiff und rief. «Peter!» rief ich. «Peter!»

Aber mein Rufen verhallte ungehört. Ich begriff das nicht; wußte ich doch, daß Peter kein Streuner und kein närrischer Hetzer war, der sich stundenlang auf eigene Faust in den Wäldern umhertrieb. Er sonderte sich niemals, wenn eine Jagd im Gange war, von der Meute ab und fand sich stets bei seinem Herrn, dem Kopfhund, wieder ein, wenn die Jagd, gleich welcher Art, ihr Ende gefunden hatte.

Warum aber um alles in der Welt kam er diesmal nicht zurück? Warum nicht? Warum nicht? - Ich wußte mir keine Erklärung dafür, nein, das ging einfach in meinen Verstandskasten nicht hinein. Oder, grübelte ich vor mich hin, sollte er bei den Treibern und deren Hunden geblieben sein und wartete jetzt an der Treffstatt, wo die Jäger inzwischen Strecke gelegt hatten, auf mich?

So unsinnig mir dieser Gedanke auch erschien, so griff ich gleichwohl danach wie ein Ertrinkender nach dem Strohhalm greift. Und so klappte ich denn meinen Sitzstock zusammen, hängte das Gewehr um und begab mich zur Treffstatt.

Dort hatten sich inzwischen nicht nur die Jäger und die Treiber, sondern auch alle Hunde wieder eingefunden. Nur einer fehlte: - Peter! Mir schwankte der Boden unter den Fußen.

«Peter -», kam es stockend aus meiner Brust. «Hat niemand meinen Peter gesehen?»

Die Männer zuckten die Schultern, hoben verlegen schweigend die Hände. Bis sich schließlich ein Treiber räusperte und sagte: «Ich kann es nicht beschwören; aber ich glaube, daß er kurz vor dem Abblasen des Treibens hinter einem Reh her war und ins Lemptal hinabhetzte!» «Das ist mir unbegreiflich», schüttelte ich den Kopf. «Peter stöbert zwar, wie das seine Pflicht ist; aber er hetzt nicht ohne Sinn und Verstand, und er jagt nie auf eigene Faust! »

Es versteht sich, daß mir die Lust am weiteren jagen vergangen war. Meine Gedanken kreisten nur noch um Peter; alles andere hatte seinen Sinn und seinen Reiz für mich verloren.

 

 

  Während sich die Jagdgesellschaft langsam in Bewegung setzte, um das nächste Treiben zu nehmen, ging ich in meiner Ratlosigkeit zu dem Platz zurück-, wo ich während des letzten Treibens auf meinem Klappstock gesessen und Peter geschnallt hatte. Sollte sich Peter nämlich wirklich selbständig gemacht haben, dann kehrte er wieder hierher zurück. Darüber bestand für mich kein Zweifel.

Ich saß und saß, ging auf und ab, pfiff und rief. «Peter!» rief ich. «Peter!.

Es nützte nichts. Kalt und frostig umstand mich der Wald. Der Wald wusste wo Peter war; aber er schwieg und verriet es mir nicht. Die Stunden schlichen. Der Tag neigte sich, und es gab für mich nur noch eine letzte, eine allerletzte Hoffnung: - Peter war tatsächlich in die Irre geraten und hatte seinen Weg  ins Dorf zurückgenommen. Dort wartete er jetzt auf mich, und zwar bei meinem alten Kriegskameraden, in dessen Behausung ich Herberge zu nehmen pflegte, wenn ich des Waidwerks wegen in der Heimat weilte. Es war zwar nur der Schimmer einer Hoffnung; aber ich hütete ihn, während ich Querfeld ins Tal hinuntereilte, ängstlich in meinem Herzen. Denn es konnte, es durfte doch nicht sein, das Peter - - nein, weg mit diesem grausigen Gedanken, das, meinem Peter ein Unheil zugestoßen sei! Es war schon dunkel, als ich das Dorf erreichte. Die Straßenlampen brannten, und mein Kriegskamerad saß mit Frau und Tochter in der Küche im Schein der Hängelampe beim Abendbrot. «Ist Peter nicht hier?» fragte ich.

Peter? Wieso? ließ mein Freund die Faust mit dem Messer darin auf die Tischplatte allen.

-Er ist weg! Ist weg  stieß ich verzweifelt aus, rannte zum Telefon und gab Inserate in den Heimatzeitungen auf. Völlig verstört lief ich  ins Revier zurück-, hastete kreuz und quer durch die stockdunklen Wälder, pfiff und schrie: -Peter! Peter!»

Mein Schreien verhallte ungehört; nicht einmal eine Eule gab Antwort- Es ging auf den Morgen zu, als ich mich auf den Rückweg machte. Aller Freude beraubt und namenlos einsam stapfte ich durch die Nacht.

Als ich längst wieder in meine stille Waldklause am Hang des Teuto zurückgekehrt war, erhielt ich einen Brief aus der Heimat. Ich öffnete Zögernd den Umschlag, las, und mein Mund zuckte wie in trockenem Weinen. Was ich von Anfang an geahnt hatte, aber um nichts in der Welt wahrhaben wollte - jetzt war es mir zu grausamer, aber doch irgendwie erlösender Gewissheit geworden, Peter war einem tragischen Versehen zum Opfer gefallen.

Der Unglücksschütze hatte einen Hasen erlegt, dem Peter mit hellem Hetzlaut folgte. Der Schütze war schwerhörig und hörte das feine
Jiff-jiff!« meines Peter nicht, sah in dem reifigen Gras und Gerank nur seinen rotbraunen Kopf, hielt ihn für einen Fuchs und schoß ihn nieder. Erst jetzt, als Peter den Schuß mit einem kurzen Klagelaut quittierte, erkannte der Schütze, was er angerichtet hatte. »Schwankend erhob er sich von seinem Sitzstock«, schrieb der Augenzeuge, »und ging weinend zu der Unglücksstätte, nahm Peter am Halsband und schleppte ihn ins Gebüsch.

Nichts Gutes befürchtend lief ich hinter ihm her; denn bei der engen Freundschaft, die euch beide verbindet, und bei seiner ohnehin höchst sensiblen Gemütsverfassung hielt ich ihn zu allem fähig. Auf den Knien liegend stöhnte er in Herzzereissender Weise, und es fiel mir nicht leicht, ihn halbwegs wieder auf die Beine zu bekommen.

Er brachte es nicht über sich, dich unmittelbar nach dein tragischen Geschehen von Peters Schicksal zu unterrichten. Er schrieb dir aber, nachdem wir Peter am anderen Tag unter die Erde gebracht hatten und du abgereist warst, einen Brief.

Dieser Brief aber ist nicht abgeschickt worden, weil dein Freund völlig zusammenbrach und nach Gießen in die Klinik gebracht werden musste. Sieh bitte zu, wie du mit der Sache fertig wirst! Sieh aber auch zu, wie du mit deinem unglücklichen Freund ins reine kommst!«

Wir sind ins reine gekommen, wir beiden. Und ich glaube, dass, wie die Dinge lagen, das auch im Gedenken an meinen braven Peter das Richtige war.